Leseprobe 2
das 18. Kapitel |
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Babette Röll hatte ein Problem: Frau Utz war als Informantin verloren gegangen, auch Doris war nicht mehr in der Schule, Herr Hussler wollte auch keine Informationen liefern, was war also zu tun? Babette Röll saß wie immer bei Meinerts am Tisch. Seit Paul nicht mehr da war, setzte sie sich immer auf dessen Platz, als wolle sie die Lücke füllen, die er hinterlassen hatte. Auch wenn fast niemand sonst am Tisch saß, gehörte ihr dieser Platz, und sie saß oft dort, denn hier fand sie diejenigen, die für ihre Ideen empfänglich waren. Sie konnte endlich ein anderes Leben wenigstens miterleben, wie langweilig musste ihr das eigene geworden sein. Gregor war, zurück aus dem Ausland, gleich bei seinem Vater gewesen, und hatte ihm seine Hilfe angeboten, denn Paul war mitten in schwierigen Renovierungsarbeiten. In Engelhausen, gut zwanzig Kilometer von Kronberg entfernt, hatten Karin und Paul ein altes Bauernhaus gemietet. Gregor plauderte fröhlich mit Karin und mit seinem Vater und half eifrig mit, die alten Wohnräume etwas aufzufrischen. Was Gregor zuhause vom neuen Glück seines Vaters berichtete, löste Wut und Zorn aus. Babette Röll bemerkte es zuerst: Jetzt würde womöglich die Verleumdungskampagne ihr Ziel verfehlen, wer würde jetzt noch an ein Verhältnis von Paul zu einer Schülerin glauben? Niemand würde es mehr glauben. Doris fragte Gregor aus, er musste alles haarklein berichten: Wie hat sie Dich angeschaut? Wie hat sie gesprochen? Was ist Dir sonst noch aufgefallen? Babette Röll erinnerte sich, ja schon ganz am Anfang hatte sie es zu Herrn Hussler gesagt, und jetzt war sie sich ganz sicher, der Böse, der Leibhaftige, der Satan war im Spiel, es ließ sie einfach nicht los, auch in der Bibelstunde bei Gassners war darüber gesprochen worden, wie sehr doch das Böse Macht gewinnen kann über die Menschen. Das Böse kann dabei vielerlei Gestalt annehmen, zumindest für möglich könne man so etwas durchaus halten, meinte Herr Gassner. Er war Jurist und würde sich natürlich niemals festlegen in solch einer Frage, aber möglich könnte es sein, und das Wort des Vorsitzenden der Fundisten hatte großes Gewicht in Kronberg. Ja natürlich, Babette Röll fiel es wie Schuppen von den Augen, Paul hatte bereits ein dreiviertel Jahr nach seiner Trennung wieder eine neue Partnerin gefunden. Die musste mit dem Bösen im Bunde sein! Wieso war sie da nicht gleich drauf gekommen? Jetzt galt es, schnell die Öffentlichkeit aufzuklären. Und vielleicht konnte man Paul ja dem Bösen wieder entreißen, Gregor würde sich dieser Aufgabe annehmen, und nicht lange, nachdem er seine Großeltern mit der Mitteilung erschreckt hatte, wie vortrefflich doch die Verleumdungen gegen ihren Sohn in Kronberg die Runde machten, traf er sich mit Paul zum Mittagessen. Es war eine etwas eigenartige Atmosphäre, Gregor behandelte seinen Vater wie jemanden, der unter Anklage steht, während Paul sich lieber über die alltäglichen Dinge unterhalten wollte. Aber er entkam der Gretchenfrage nicht: „Wie hält sie’s mit der Religion?“, fragte Gregor. „Wen meinst Du?“, fragte Paul zurück. „Na, Deine Neue?“, forschte Gregor weiter. „Ich weiß es nicht, solche Dinge sind Privatsache!“, erklärte Paul. „Aber sie hatte einen so komischen Blick, als ich mich mit ihr in Engelhausen unterhalten habe, könnte es nicht sein, dass sie gar etwas mit Satanismus zu tun hat?“ „Jetzt bist Du völlig übergeschnappt, Gregor, Du siehst einen Menschen ein- oder zweimal und kommst zu solchen Behauptungen!“ „Es könnte aber doch sein!“ Nun wurde Paul ärgerlich und wollte endgültig dieses Thema beenden. Aber Gregor gab nicht nach und zog den letzten Trumpf aus der Tasche: „Ich habe vorsorglich Herrn Gassner gefragt, er sagte mir, so etwas könne man nicht ausschließen!“ Glücklicherweise war die Mahlzeit schon zu Ende, Paul ging zornig hinaus. „Wieso können diese Menschen meine Kinder nicht in Ruhe lassen und mischen sich in dieser Weise in mein, in unser Leben ein?“ Am Abend beriet er mit Karin, was zu tun sei. Karin war empört und meinte, die einzig vernünftige Lösung sei, diese Vorwürfe öffentlich zu diskutieren „Du wirst sehen, in der Öffentlichkeit werden alle abstreiten, jemals einen solchen Unsinn gesagt zu haben.“ Sie brachten alles zu Papier und Karin schickte den Brief an die oberste Kirchenbehörde in Hengstenberg. Recht schnell kam eine Antwort. Die Kirchenbehörde verfügt eigens über einen Weltanschauungsbeauftragten, der sich mit solchen Problemen auseinandersetzt. Mein Gesprächspartner holte tief Luft und machte eine größere Pause. „Das soll ich wirklich glauben, mein lieber Paul?,“ unterbrach ich die Stille. „Das klingt ja sehr nach mittelalterlichen Verhältnissen in Kronberg.“ Paul griff in seine Jacke und zog ein Blatt Papier heraus: „Du bist nicht der einzige, der so etwas nicht für möglich hält,“ – er schob das Schriftstück über den Tisch – „lies es einfach selbst.“ |