Leseprobe 1

Präludium und Beginn des ersten Kapitels

 

Präludium

 

Ich lernte Paul Meinert mehr zufällig kennen. Nach einem schönen Konzert in der sächsischen Provinz waren alle noch in der Dorfkneipe zusammengekommen, der örtliche Männerchor und viele der Besucher, die meisten Angehörige und Freunde der Sänger. Paul Meinert gehörte eigentlich nicht dazu, man hatte ihn eigens für das große Jahreskonzert engagiert, schließlich brauchte man wie immer einen Klavierspieler. Trotzdem behandelten die Anwesenden ihn wie einen der ihren, er war ganz offensichtlich nicht das erste Mal dabei gewesen, aus manch fröhlichen Bemerkungen und Trinksprüchen konnte man hören, dass die Sänger mit ihrem Klavierbegleiter durchaus zufrieden waren und er wohl einen wichtigen Teil zum Gelingen beigetragen hatte.

Gerne war ich noch zu dieser fröhlichen Runde gestoßen, ich kannte den Dirigenten aus Jugendtagen und saß nun mit ihm und dem Klavierbegleiter an einem kleinen Tisch in der Ecke. Der Dirigent durfte nicht lange dort sitzen, die Anspannung des Konzertes hatte sich gelöst und die Sänger wollten mit ihrem Meister ein ums andere Mal die Becher kreuzen.

So saß ich mit Paul Meinert allein am Tisch und wir kamen ins Plaudern. Ich war erstaunt zu erfahren, dass solche Veranstaltungen wie die heutige nicht sein täglich Brot waren, und er schilderte bereitwillig seine vielfältigen Aufgaben. Ich selbst hatte nicht minder viel zu berichten und erzählte ihm stolz, dass ich allen festen beruflichen Verpflichtungen entflohen und seit wenigen Jahren nun ein ganz und gar freischaffender Schriftsteller sei. Meinert wurde etwas stiller und sagte so beiläufig, um ein Haar hätte er Amt und Würden verloren und dann sehen müssen, wie er sich mit derlei Gelegenheitsaufträgen durchschlage. Etwas belustigt fragte ich ihn, wo er denn die silbernen Löffel entwendet hätte, Meinert sagte: „Viel schlimmer, man hat versucht, mich auf jede nur erdenkliche Art um meine Anstellung zu bringen.“ Nun gab ein Wort das andere, ich fand mich in der Rolle des Zuhörers. Mehrmals fragte ich verwundert nach, ob Meinert von uralten Zeiten oder aus dem Mittelalter erzähle? „Nein, das ist alles zu Beginn des neuen Jahrtausends passiert, gerade jetzt erst und eigentlich bin ich noch mitten drin in dieser Geschichte.“ „Ich muss das unbedingt aufschreiben“, sagte ich spontan, „natürlich nur, wenn Sie erlauben.“ Meinert nickte.

Und hier ist seine Geschichte.


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Da saßen sie nun alle beieinander und beratschlagten, was zu tun sei. Etwas Ungeheuerliches war passiert. Paul Meinert hatte eine Entscheidung getroffen. Und nicht nur dies, er hatte auch sogleich gehandelt. Eine Unverschämtheit. Einem wohl situierten Menschen in seinem Alter steht so etwas einfach nicht zu. Darüber waren sich alle einig. Und nun musste man ganz schnell die Gründe seines Handelns herausfinden, es gab ja nicht viele Möglichkeiten. Sehr wahrscheinlich war Paul Meinert schwer erkrankt, womöglich ein psychischer Defekt, eine Art Wahnsinn, plötzlich und über Nacht ausgebrochen? Eine Irrsinnstat! Was war passiert? Paul Meinert hatte an einem Freitag nach dem Mittagessen einen Koffer gepackt und das Haus verlassen, einfach so. Seitdem war er verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.  . . . . . . .. . . . .

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